Die internationalen beziehungen nach sept11
Die dramatischen und emotionalisierenden Terroranschläge in den USA vom 11. September 2001 wurden in den Wochen und Monaten danach als Beginn einer neuen Epoche, als Einschnitt mit historischen Dimensionen wahrgenommen. Eine solche Einschätzung war aufgrund der Eindringlichkeit der Bilder verständlich, erfolgte aberdistanzlos aus dem Augenblick heraus. Mehr als zwei Jahre später und aufgrund der ersten Erfahrungen des „Anti-Terror-Krieges“, des Sturzes der afghanischen Taliban und der Eroberung und Besetzung des Irak lässt sich eine erste Zwischenbilanz ihrer internationalen Bedeutung ziehen. Der 11. September ereignete sich in einer Zeit politischer Umbrüche im internationalen System. Die Zeit des Kalten Kriegeswar von einer doppelten Struktur gekennzeichnet: einerseits einer offensichtlichen Bipolarität, die das politische Denken bestimmte und auch die Begriffe („Ost- West-Konflikt“) prägte. Hinter dieser Grundstruktur allerdings vollzog sich in den fünfziger bis neunziger Jahren ein schrittweiser und behutsamer Wandel zu einer verdeckten Multipolarität: Waren die USA noch in den fünfziger Jahren die imWesten allein dominierende Macht, differenzierte sich durch den Wiederaufstieg Japans und der Bundesrepublik Deutschland, durch die Entwicklung der EWG/EG/EU und die Stärkung anderer Akteure (etwa in Südostasien) die internationale Machtstruktur. Im Verlaufe des Kalten Kriegs war die bipolare Grundstruktur im Begriff, sich multipolar aufzufächern, wenn die USA auch noch der mit Abstand wichtigsteAkteur blieben. Das Ende des Kalten Krieges führte in diesem Kontext zu den folgenden Ergebnissen: erstens der plötzlichen Beseitigung der bipolaren Grundstruktur durch Wegfall eines der beiden Pole: der Sowjetunion und ihres „Lagers“, zweitens aber auch zur Schwächung der multipolaren Tendenz in der Weltpolitik, indem die USA als primärer Sieger im Kalten Krieg für einen historischen „unipolarenAugenblick“ (der durchaus eine oder zwei Generationen dauern kann) zur letzten und einzigen Supermacht wurden. Der Weg von der Bizur Multipolarität führt über eine historische Phase der Unipolarität, in der die USA als letzte und einzige Supermacht das internationale System dominieren. Washington selbst reagierte auf diese neue Situation zuerst mit einer unsicheren Mischung aus unilateraler undmultilateraler Politik und vagen Vorstellungen von einer „Neuen Weltordnung“ (unter Präsident Bush sen.), in der ersten Hälfte der ersten Amtszeit Präsident Clintons mit verstärktem Multilateralismus, um dann – und verstärkt unter George W. Bush – zu einer Politik der robusten Interessensdurchsetzung und eines hemdsärmeligen Unilateralismus überzugehen.1 Die USAgenda wurde mit beispielhafterKlarheit vom ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater Brzezinski formuliert: Es gehe darum, die aktuelle USDominanz noch möglichst lange in die Zukunft zu verlängern, bevor sie von einem unvermeidlichen multilateralen System abgelöst werde.2 Auch in diesem Kontext entwickelte sich seit Mitte der neunziger Jahre die Vorstellung von „Schurkenstaaten“, denen die USA entgegentreten müssten – weiße Fleckenauf der Landkarte globaler USDominanz, die es zu verkleinern oder zu beseitigen gelte. Die häufigen Luftangriffe Washingtons gegen den Irak in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre und die gegen Afghanistan sowie den Sudan (1998) gehören in diesen Zusammenhang. Der Terrorismus des 11. September erfolgte zu einem historischen Zeitpunkt, an dem sich diese Situation verfestigte, er war vor allem einAngriff auf die Symbole US-amerikanischer Weltmacht: auf das Pentagon (als Symbol der militärischen Macht der USA), das World Trade Center (als Symbol ökonomischer Macht) und das Weiße Haus (als Symbol der politischen Macht, als Ziel des vorher abgestürzten Flugzeugs). Washington reagierte darauf mit einem globalen „Krieg gegen den Terrorismus“, der mehrere Funktionen zugleich erfüllte: die...
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